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nungen
Leipzig/ im Infdverlag
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ZWEITE AUFLAGE
MARTIN BUBER
EREIGNISSE
UND BEGEGNUNGEN
IM INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG
Von den drei Teilen dieses Buches 1st
der erste im Sommer 1907 geschrieben
worden, der zweite in den Winter- und
Friihlingsmonaten 1914, der dritte im
Herbst desselben Jahres.
2093291
DIE BURG
BUDDHA
,,Meine Tat ist mein Besite, meine
Tat ist mein Erbteil, meine Tat der
Mutterleib,dermicligebiert.MeineTat
ist das Geschlecht, dem ich verwandt
bin; meine Tat ist meine Zuflucht."
DASS die grofsen Urworte unsrer
Einkehr zu aller Zeit offen stehn,
ist eine unausschopfbare Trostung im
Menschenleben dieser Tage. Wenn uns
die Macht des Abgeleiteten auf tausend
flinken Pferdchen nachsprengt und mit
ihren bunten Fahnen unsern Himmel
verdeckt, mit dicken Staubwirbeln unsern
Weg verwirrt, siehe die Burg der Ge-
waltigen vor uns: wir reiten hinein, die
_ 4 _
Schlofsbriicke vvird aufgezogen, wehr-
haftes Ragen umgibt uns, und geschiitzt,
umfriedet, in einsamer Gnade sind wir
bei der Ewigkeit zu Gast.
Freilich, eins tut not: dafs wir uns von
der ,,differenzierten Stellungnahme", die
uns eingewohnt worden ist, losgemacht
ha ben. Ist das uiisre Art, die Dinge zu
leben, dafs wir ein ,,asthetisches" oder
ein ,,philosophisches" oder ein ,,religioses"
Verhaltnis zu ihnen haben, dann bleiben
wir draufsen: vor uns selber wird die
Briicke aufgezogen, und das wilde Heer
nimmt uns mit.
Wenn wir die Urworte, deren Einheit
wir Buddha nennen, als Theorie nehmen,
haben wir sie verloren. Was dann noch
bei uns bleibt, ist der ,,Buddhismus",
eine Existenz unter Existenzen, mit einem
Anfang und einer Ausdehnung in der
Historic, mit einer These und einer Be-
griindung in der Logik. Durch solche
Gegenstande konnen wir nur armer vver-
den und bekommen einen Daseinsraum
zugemessen, cfer uns nicht eingeboren
war. Wir verschreiben dem Teufel unsre
Unendlichkeit far einen Wunschsackel
voll interessanter Begriffskombinationen.
Buddha ist iibrigens auch historisch
und logisch keine Theorie. Er erweitert
den Bestand des Vedanta nicht um eine
Idee, sondern um eine Tat. Und er lehnt
alle Positionen und Negationen ab, weist
alle Losung der Antinomien von sich,
um des ,,Weges" willen. ,,Bekennt nun
aber Herr Gotamo irgendeine Ansicht?"
,,Eine Ansicht, Vaccho, die kommt
dem Vollendeten nicht zu." Und Pottha-
pado der Pilger herichtet: ,,Auch ich, ihr
Lieben, habe vom Asketen Gotamo kei-
nen einzigen schlechthin giiltigen Lehr-
satz vortragen horen, als wie etwa ,ewig
ist die Welt' oder ,zeitlich ist die Welt*
oder dergleichen mehr. Immerhin aber
gibt der Asket Gotamo einen wirklichen,
ehrlichen, echten Pfad an, der zu Recht
besteht, zu Recht geregelt ist." So lehrte
Sokrates, so Jesus.
Dadurch aber ebeii scheiden wir uns
^
von denen um Gotamo, den en um So-
krates, denen um Jesus: dafs uns die Tat
keine Lehre ist, dafs uns die Tat das
Unlehrbare, Unlernbare, die Partheno-
genese der Seele ist. Und schieden wir
uns nicht dadurch von jenen, dann waren
wir nichts.
Was uns aber Buddha ist, das teilt
sich uns am reinsten in jener Rede der
,,Mittlern Sammlung" mit, die Brahmas
Heimsuchung genannt wird. Da wird er-
zahlt, wie Gotamo in der Brahmawelt
erscheint und den Gott iiberwindet, durch
Erkenntnis. Brahma will ihm entsch win-
den und kann es nicht, er aber ent-
schwindet dem Brahma. Sein Bewufst-
sein ist iiber dem des Gottes. So siegt
er. ,,Eine andre, hohere Freiheit als diese
gibt es nicht", hatte Brahma von sich
verkiindet. Hier 1st die andre, hohere
Freiheit. Gotamo hat getan, was der
kennende Gott nicht tun kann: er hat
erkannt. Seine Tat ist iiber der des
Gottes. ,,Tausendfach ist die reiche Welt
in deinen Willen eingewiegt", so redet
er zu Brahma. Aber in seinen, Gotamos,
Willen ist nichts mehr eingewiegt, er hat
seinen Willen dem All entzogen: er hat
abgesagt. Brahma ist verstrickt, Buddha
ist frei.
Das ist der Prometheus der Inder, der
ganz innerliche. Er stiirmt nicht, streitet
nicht, er riihrt keinen Fuls, streckt keine
Hand aus. Unbewegt steht er vor dem
Brahma und erkennt. Seine Tat hat
keine Expansion im Raume und keinen
Verlauf in der Zeit. Seine Tat ist der Ur-
sachlichkeit des Weltgetriebes entriickt.
Sie ist nicht bewirkt, ist aus dem Augen-
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blick gevvachsen, aus der Ewigkeit. Ihr
folgt kein Leiden. NichLs folgt ihr. Sie
ist getan.
Wir scheiden uns von den en um Go-
tamo. Von ihm nicht. Und doch binden
uns vergangliche Machte. So sind wir,
klein und grofs, Sklaven der Zeit und
Blutsbriider des Hochsten.
Das Buddha-Wort fiir die Partheno-
genese der Seele ist: \Viederkehr. Die
Mutter der Tat ist die Tat eines fruhern
Lebens. Das Erkennen Gotamos ist ein
Sein. Als Gotamo von einem einstigen
Opfer erzahlt, spricht einer: ,,Der Asket
Gotamo hat nicht gesagt: ,Das hab ich
geho'rt' oder ,So diirfte es sein', sondern
es hat eben der Asket Gotamo ,Das ist
damals gewesen, so ist es damals ge-
wesen', schlechthin gesprochen. Da ist
mir, ihr Herren, der Gedanke gekom-
men: Gewifs ist der Asket Gotamo zu
jener Zeit der Konig gewesen, Walte-
herr, der das Opfer geboten hat, oder ist
der Oberpriester bei Hofe gewesen, der
das Opfer dort vollzogen hat." Buddha
schaut die Dinge, ist die Dinge, schaut
die Welt, ist die Welt. Sein Verneinen,
sein Absagen ist nichts als das vollendete,
vollkommene Sein. Es ist die ertullte Tat.
Asien spricht. Nicht die historiseh-geo-
graphische Kategorie Asien". Es ist die
Stimme, die uns in der Burg der Ur-
worte empfangt. Sie unterweist nicht.
Sie schiitzt, sie trostet, sie heilt.
DIE FAHRT
DER ALTAR
AS 1st der Altar des Geistes im
Abendland, einst aufgerichtet durch
den Meister Matthias Griinewald in einer
elsassischen Klosterkirche und jetzt in
einer andern elsassischen Klosterkirche
zu schauen, aber alien Kirchen und aller
Kirch e ubermachtig wie das Wort des
Meisters Eckhart, der zwei Jahrhunderte
vor ihm in den elsassischen Klostern pre-
digte. Diese beiden, Eckhart und Mat-
thias, sind Briider, und ihre Lehren sind
verschwistert. Aber Griinewald lehrt in
der Sprache des Farbenwunders, die kein
Deutscher vor und nach ihm geredet hat.
14
Das 1st der Altar des Geistes im Abend-
land, und Kolmar ist grofs wie Benares.
Aber nur der Pilger, der in dieser Sprache
berufen wurde, findet wahrhaften Eiri-
lafs.
Wie alle grofsen alten Gebilde ist der
Altar von unserer Zeit (in ihren ersten
Tagen) auseinandergenommen worden.
Als er noch ganz war, sah man ihn, da
man zuerst vor ihn trat, geschlossen und
auf den geschlossenen Fliigeln die Kreu-
zigung.
Auf diesem Bilde ist ein Christus mit
siechem Marterleib und aufgereckten Fin-
gem der angenagelten Ha'nde vor die
Nacht der Welt gestellt und ihm zur
Seite ein roter Ta'ufer, der wie ein gigan-
tischer Marktschreier auf ihn zeigt und
seinen Spruch hersagt, und zur andern
Seite ein lunger, schwankend und ver-
weht wie ein Irrwisch, und vor diesem
zwei Frauen, die zwei Frauen der Erde,
die zwei Seelen der Erde, die stehende
Maria und die knieende Magdalena.
Mariens Augen sind zugetan, Magda-
lenens Augen sind geoffnet. Mariens fahle
Hande sind starr ineinander geprefst und
ohne Einzelheit, Magdalenens blutdurch-
schimmerte Hande sind wild verschrankt,
dafs jeder Finger hervortritt wie ein jun-
ges Tier. Auf Marien entschwindet, was
an Arm ein, iiber der Brust, am Kleid-
saum Farbe ist, vor dem ungeheuren,
todlichen "Weils des Mantels, der sie, ein-
deutig wie ein Leichentuch, umdeckt.
An Magdalenen ist kein Fleckchen Lei-
bes und Gewandes, aus dem nicht Farbe
riefe und sange; ihr hellrotes Kleid ist
von tiefroter Schnur gegiirtet, ein gold-
nesGelb antwortet derstromenden Blond-
heit ihrer Haare, und noch der dunkle
Schleier schillert. Sie ist der vielfaltigen
Farbigkeit angelobt wie Maria der eini-
gen Farblosigkeit; aber ihre Buntheit ist
16 -
nicht voin Sinn gebunden, und Mariens
Weifse 1st dem Leben entsondert. Diese
Zwei sind die zvvei Seelen, kerne von
beiden ist der Geist der Erde. Vor der
Nacht der Welt leuchten sie zu Fiifsen
des Gekreuzigten in verschiedner und
doch verwandter Gebarde, als die Frage
des Menschen.
Dann offnen sich die Fliigel und stellen
sich mil ihrer Riickwand zu beiden Seiten
der inneren. Das Herz des Altars blattert
sich auf. Und .so ist es zu lesen :
Zur Link en die Verkiindigung. Die
Verkiindigung der Antwort.
In der Mitte die Geburt. Da gliiht
auf kristallnem Gebirge der Morgen der
Welt, unter ihm sitzt die Jungfrau mit
dem Kinde, und zuhochst dariiber ent-
stiirzen der gottlichen Gloria die Engel-
scharen wie Samenstaub einer unend-
lichen Bliite. In der Glorie sind sie noch
iiberfarben, geeint iin sonnenhaften Licht,
- 17
aber da sie niederwallen, ini Zwischen-
reich des Werdens glanzt jeder als eine
Farbe auf; und so knien mid schweben
sie musizierend links in dem Portal, jeder
eine Farbe. ,,Denn das ist die letzte Ma-
teria, so ein Ding allein in ihm selbst
stehet und jubilieret in seiner Exaltation."
Das ist das \Viinder der Farbenwerdung,
der Vielheitswerdung aus der Einheit:
das erste Mysterium. Dieses Mysteriuni
ist nur offenbart, nicht uris zugeteilt. Die
iiberfarbne Glorie ist der Geist des Him-
mels, sie ist nicht der Geist der Erde,
der sie sich nicht erschliefst. Die Engel
entstiirzen ihr, aber sie schauen sie nicht.
Wir vermogen nicht hinter der Vielheit
die lebendige Einheit zu findeu. Wenn
wir die Farben hinwegtun, sehen wir
nicht das Licht, sondern die Finsternis,
mag sie auch berauschend und voller Ver-
ziickung sein. Wer den weifsen Mantel
umlegt, ist dem Leben entsondert; und
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er erfahrt seine Wahrheit nur, solang er
die Augen schlielst. ,,Wir erkennen, dafs
Gott in seinem eigenen Wesen kein We-
sen ist." Unsere Welt, die farbige Welt,
ist die Welt.
So waren vvir denn der Vielfaltigkeit
ausgeliefert wie Magdalena? Waren,
wenn wir uns von der Gewalt des Wirk-
lichen nicht abkehren und die Fiille un-
seres Erlebens nicht verleugnen wollen,
ausgestreut in die Dinge und in das Be-
dingte gebannt? So miifsten vvir ewig
von Wesen zu Wesen und von Geschehen
zu Geschehen irren, unfahig, ihrer aller
Einheit zu umschlingen?
Da lesen wir weiter:
Zur Rechten die Auferstehung. Das
ist Nacht und Tag der Welt in einem:
mitten im Sternenraum eine ungeheure,
von Farbe wie von einem treibenden
Saft geschwellte Sonne, von der licht-
gelben Mitte liber rote Strahlenkreise
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zum blauen Rand gedehnt, der in das
Dunkel greift, und darin, iiber autge-
stiirzteni Grab und hingesunknen Wach-
tern steil emporsteigend, in einem Mantel
aus erster Morgenrote, violetter Wetter-
wolke, Blitzesfeuer und hellstem Him-
melsfernenblau, der Auferstehende, Far-
benbrand er selber voin Sonnenantlitz
bis zu den demiitigen Rosen der Fiilse.
Was ist Magdalenens Buntheit vor sei-
nern \Veltenspektrum? Was ist Mariens
weiise Einheit vor seiner allfarbenen? Er
umschliefst die Tone des Seins in seinem
einigen Sinn, jeder Ton rein und gestei-
gert, alle verbunden unter dem Gesetz
der weltbindenden Person. Sie schillern
nicht, sie prangen in ihrem Selbst, um
ein oberes Selbst gereiht, das sie alle,
alle Farben und Engel und Wesen, auf-
genoinmen hat und emportragt. Das ist
das Wiinder der Glorienwerdung, der
Einheitswerdung aus der Vielheit: das
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andre Mysterium. Dieses Mjsterium ist
uns selbeigeri zugeteilt. Die allfarbne
Glorie, die allwarts erschlossene, aufstei-
gende, die Glorie der Dinge ist der Geist
der Erde.
Das ist nicht der Jude Jeschua, wan-
delnd und lehrend zu seiner Zeit auf
galilaischer Erde; es ist auch Jeschua; das
ist nicht der eingeborne Logos, der aus
seiner Zeitlosigkeit in die Zeit nieder-
steigt; es ist auch der Logos; das ist
der Mensch, der Mensch von Allzeit und
Oberall, von Jetzt und Hier, der sich
zum Ich der Welt vollendet. Das ist der
Mensch, der die Welt umfafst und an
ihrer Vielfaltigkeit nicht vielfaltig wird,
vielmehr aus der Kraft seines Weltum-
fassens selber einig gevvorden ist, ein einig
Tuender.
Er liebt die Welt, er lehnt keine ihrer
Farben ab, aber er kann keine aulheh-
men, ehe sie rein und gesteigert ist. Er
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liebt die Welt, aber er kainpft um seine
Unbedingtheit gegen alles Bedingte. Er
liebt die Welt zum Unbedingten bin, er
triigt die Welt zu ihrem Selbst empor.
Er, der Einige, bildet die Welt zur Ein-
beit.
Unsere Welt, die farbige Welt, ist die
Welt; aber sie ist es in ihrem Geheimnis,
in ihrer nicht ureinigen, sondern ge-
einten Glorie; und die Glorie ist aus
dem Werden mid aus der Tat.
Wir vermogen nicht hinter der Viel-
heit die lebendige Einheit zu finden. Wir
vermogen aus der Vielheit die lebendige
Einheit zu tun.
MIT EINEM MONISTEN
ICH lernte vor kurzem einen Monisten
kennen.
Ich merkte auf den ersten Blick, dafs
er ein vortrefFlichcr Mensch war. Das
Vortrefflichsein scheint iibrigens durch den
Monismus wesentlich erleichtert zu wer-
clen. Wir andern haben nur Ersehwe-
rungen zu bieten.
,,Sie sind Mystiker", sagte cler Monist
und sah mich inehr verzichtend als stra-
fend an. So stelle ich inir einen Apoll
vor, der es verschmaht, den Marsjas zu
schinden. Er unterliefs sogar das Frage-
zeichen. Aber seine StimiTie war lent-
23
selig. Ja, er brachte es zustande, sublim
und vortrefflich zugleich zu sein.
,,Nein, Rationalist", sagte ich.
Er geriet aus der schonen Haltung.
,,Wie . . . ich meinte . . .", aufserte er.
,,Ja," bekraftigte ich, ,,das ist die ein-
zige meiner Weltansichten, der ich es er-
laubt habe, sich zum Ismus zu verbrei-
tern. Ich bin dafiir, dafs die Ratio alles
aufnehme, alles bewaltige, alles verarbeite.
Nichts kann ihr widerstehen, nichts sich
vor ihr verbergen. Ich finde das herrlich.
Nur keine halbe Arbeit, nur keine Neun-
zehntelarbeit! Nur nichts iibersehen, nur
nichts verschonen, nur nichts bestehen
lassen! Sie hat nur dann etwas getan,
wenn sie es vollstandig getan hat. Sie
macht sich an die Welt heran und macht
sie zurecht. Ein Meisterstiick der Zeiten,
diese rationalisierte Welt! Die Welt ohne
Liicke und ohne Widerspruch! Die Welt
als Syllogism us!"
24 -
,,Nein, aber . . .", vvandte er ein.
,,Ganz recht," konzeclierte ich, ,,Sie
wiirden es anders formulieren, etwa: die
Welt als die vollstandige Induktionsreihe.
Es kommt mir nicht darauf an; ich bin auf
jedenFall einverstanden. Wenn nur ganze
Arbeit gemacht wird! Da gibt es freilich
welche, die die Grenzen verwischen. Die
mag ich nicht. Aber fur Sie bin ich ein-
genommen. Sie sind mir nur noch, trotz
allem, nicht vollstandig genug. Sie lassen
noch immer irgendwo verschamte Teleo-
logien ein. Das sollte nicht sein. Wenn
der Menschenwille restlos bestimmt ist, so
ist es ganz gleichgultig, dais er dieses Be-
stimmtsein nicht iiberblickt, die Zukunft
als von sich abhangig vorstellt und meint,
nicht Durchgang, sondern Ursprung zu
sein: in den Augen Ihres Ideals, des Be-
trachters der vollstandigen Induktions-
reihe, ware er unfrei und mufs es daher
auch fiir Sie sein.^
_ 25
,,Jedoch . . .", rief er dazsvischen.
,,Gewifs," erwiderte ich, ,,die Moral . . .
Aber das kann meine Neigung fur hem-
mungslosen Rationalismus nicht beein-
(lussen. Ich denke ihn mir als ein eng-
maschiges Netz, das alle Phanomene ein-
fangt und dem keins wieder entschlup-
fen kann. Gestehet nur der Seele keine
Sonderstellung zu! ,Fiihrt< sie jzuriick',
bis sie nicht weiter zuriick kann! Driickt
sie an die Wand! Duldet nichts, was
sich euren einreihenden Befehlen entzie-
hen mochte! Ruhet nicht, ehe die .Welt
vor euren priifenden Blicken steht wie
eine wohlgeordnete Registratur! Dann
habt ihr bewiesen, dafs der Geist der
Herr ist und dafs er nur die erstbeste
seiner Tochter auszusenden braucht, und
sie bindet die Welt und den Vater dazu.
So rnufs es imnier von neuem geschehen,
von Geschlecht zu Geschlecht. Bis er
wieder den Finger hebt und alle Fesseln
26 -
zerfallen und die Welt siob dehnt und
die Zettel eurer Zettelkasten wild umber-
fliegen im spielenden Sturm."
,,So also . . .", konstatierte er argerlicb.
,,Ja", bestatigte ieh und leugnete nichts.
,,Sie haben mich durchschaut. Wir brau-
chen auch gar nicht zu warten. "Was im
Menschenreich von einer Zeit zur an-
dern geschehen mufs, geschiebt allzeit
von Augenblick zu Augenblick im Men-
sehen. "Wenn der Kreis gezogen ist, der
reinliehe Kreis der Weltbegreifbarkeit,
und wenn alles eingebannt und alles Den-
ken als Energieform und aller Wille als
Kausalitatsform entlarvt ist, dann schwingt
Selbst, die heimliche Lerehe, sicb aus
dem Kreise auf und tiriliert. Ibr hattet
das Ich zerlegt und aufgeteilt, da schwebt
es unberiihrt iiber euren Kiinsten, das
unantastbare. Ibr mogt meine Seele als
em lockeres Aggregat von Empiindungen
entbiillen: da riihrt sie sicb und fiiblt
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emporgereckt den Glanz der Nacht oder
ingrimtnig die Not eines Kindes, und 1st
Kristall; und wenn sie schlaft, fliegen all
cure Formeln und Berechnungen wie
Molten n m ihren feurigen Traum. Ihr
inogt die Elcmente aufzeigen, aus denen
ich bestehe, die Wandlungen, die an mir
geschehen, die Gesetze, die mich z win-
gen: wenn ich gauze einmalige Gestalt
mich zuin Tun hebe und mich ent-
scheide, bin ich Element, ich "Wandlung,
ich Gesetz, und die Blitze der Schopfung
zucken in meinen beginnenden Handen.
Welcher StofFe Verbindung, welcher Tiere
Nachkomme, welcher Funktionen Knecht
ich bin, das ist mir erspriefslich zu horen
und ist mir nichtig, wenn ich Unend-
liches zu denken, Unendliches zu schauen
wage und ihm verwoben mich als Un-
endlichen erfahre. Dafs es eine Zeit gab,
da der Mensch nicht auf der Erde war,
die Kunde nehme ich willig auf und
28 -
kennc ihre Sprachc nicht mehr, wenn
mir in der Flamme des erlebten Augen-
blicks die Ewigkeit entgegenschlagt; dafs
einst die Erde erk alien und der Menscli
verschwinden wird, lasse ich mir gem
erzahlen und habe es vergessen und
vernichtet, wenn meine Tat hinaus ins
uferlose Werden brandet. Das ist das
glorreiche Paradox unseres Daseins, dafs
alle Begreifbarkeit der Welt nur ein
Schemel ihrer Unbegreifbarkeit ist. Aber
diese Unbegreifbarkeit hat eine neue, eine
wundersame Erkenntnis zu spend en; die
ist wie die Adams, der sein Weib Chawa
erkannte. Was die kundigste und kunst-
reichste Verkniipfung von BegrifFen ver-
sagt, das gewahrt das demiitige und ge-
treue Erschauen, Erfassen, Erkennen ir-
gendeines Dinges. Die Welt ist nicht be-
greifbar, aber sie ist umschlingbar: durch
die Umschlingung eines ihrer Wesen.
Jedes Ding und Wesen hat zwiefache
- 29
Beschaffenheit: die passive, aufnehmbare,
bearbeitbare, zerlegbare, vergleichbare,
verkniipfbare, rationalisierbare, und die
andre, die aktive, unaufnehmbare, unbe-
arbeitbare, unzerlegbare, un vergleichbare,
un verkniipfbare, unrationalisierbare.Diese
ist das Gegeniibertretende, das Gestalt-
hafte, das Schenkende in den Dingen.
Wer ein Ding wahrhaft erlebte, dafs des-
sen Selbst ihm entgegensprang mid ihn
umfing, hat darin die Welt erkannt."
,,Sie sind also doch ein Mystiker",
sagte der Monist, als ich innehielt, und er
lachelte. Weil er zu Wort gekommen
war? Weil er recht behielt? Oder weil
es einen Monisten lachern mufs, wenn so
ein Kerl sich nach weitlaufiger Verstellung
endlich doch als heilloser Reaktionar ent-
puppt? Oder iiberhaupt . . .? Lafst uns
nicht nach Motiven forschen und uns
jedes Menschenlachelns, sofern es nicht
geradezu boshatt ist, freuen.
oU
,,Nein," antwortete ich und sah ihn
freundlich an, ,,da ich doch der Ratio
einen Anspruch zubillige, den ihr der
Mystiker vervvehren inufs. Und iiber-
dies fehlt es mir an Verneinung. Ich
kann nur Zustande verneinen, aber nicht
das winzigste Ding. Der Mystiker kriegt
es wahrhaft oder scheinbar fertig, die
ganze Welt, oder was er so nennt, alles,
was ihm seine Sinne an Gegenwart und
Gedachtnis darreichen, auszurotten und
hinwegzuschaffen, uni mit neuen, ent-
leibten Sinnen oder einer ganz ubersinni-
gen Kraft zu seinem Gotte vorzudringen.
Mich aber geht eben diese Welt, diese
schmerzensreiche und kostliche Fiille all
dessen, was ich sehe, hore, taste, unge-
heuer an. Ich vermag von ihrer Wirk-
lichkeit nichts hinwegzuwiinschen, nein,
nur noch steigern mochte ich diese Wirk-
lichkeit. Denn was ist sie doch? Die Be-
riihrungzwischen dem unsaglichen Kreisen
31
der Dinge und den erlebenden Kraften
ineiner Sinne, die mehr und anderes sind
als Atherschwingung und Nervenstroiu
und Empfinden und Verkniipfen von
Empfindungen, die leibhafter Geist
sind. Und die Wirklichkeit der erlebten
Welt ist um so machtiger, je machtiger
ich sie erlebe, sie verwirkliche. Wirk-
lichkeit ist keine feststehende Verfassung,
sondern eine steigerungsfahige Grofse.
Ihr Grad ist funktionell abhangig von der
Intensitat unseres Erlebens. Es gibt eine
gemeine \Virklichkeit, die hinreicht, da-
init die Dinge verglichen und eingereiht
werden. Aber ein andres ist die grofse
Wirklichkeit. Und wie konnte ich sie
meiner Welt geben, als indem ich das
Gesehene mit aller Kraft meines Lebens
sehe, das Gehorte mit aller Kraft mei-
nes Lebens hore, das Getastete mit aller
Kraft meines Lebens taste? Als indem
ich mich iiber das erlebte Ding neige mit
32
Inbrunst und Gewalt und die Schale der
Passi vital in it ineinem Feuer schmelze,
bis mir das Gegeniibertretende, das Ge-
stalthafte, das Schenkende des Dinges
entgegenspringt und mich umtangt, dafs
ich darin die Welt erkenne? Wirkliche
Welt das ist offenbare, erkannte Welt.
Und die Welt kann nicht anderswo er-
kannt werden als in den Dingen und
nicht anders als mit dem tatigen Sinnen-
geist des Liebenden."
,,Ja, dann . . .", behauptete der Monist.
,,Nein, nein," protestierte ich, ,,Sie irren
sich: da ist ganz und gar kein Einver-
nehmen mit Ihren Lehrsatzeri. Denn der
Liebende, das ist einer, der jedes Ding,
das er erfafst, beziehungslos erfafst. Es
fallt ihm nicht bei, das erlebte Ding in
Relationen zu andern Dingen einzustellen,
da ihm ja zu dieser Stunde kein andres
lebt als dieses, dieses geliebte allein in
der Welt, die Welt ausfullend, es und die
33
Welt einander unuiiterscheidbar deckend.
Wb ihr mit flinken Fingern die Gemein-
samkeiten herausholt und in bereite Ka-
tegorien verleilt, schaut er traumgewal-
tigen und urwachen Herzens das Unge-
meinsame. Und dieses ist die schenkende
Gestalt, das Selbst des Dinges, das ihr in
den reinlichen Kreis eurer Weltbegreif-
barkeit nicht zu bannen vermogt. Was
ihr aushebt und zusammenbringt, das ist
ewig nur die Passivitat der Dinge. Ihre
Aktivitat aber, ihre wirkende Wirklich-
keit ofFenbart sich einzig dem Liebenden,
der sie erkennt. Und so erkennt er die
Welt. In den Ziigen des Geliebten, des-
sen Selbst er verwirklicht, gewahrt er das
ratselhafte Angesicht des Alls.
Echte Kunst ist eines Liebenden Kunst.
Der solche Kunst treibt, dem erscheint,
da er ein Ding der Welt erlebt, die
heimliche Gestalt des Dinges, die keinem
vor ihm erschien, und auch er sieht sie
- 34
nicht, soudern er fuhlt ihren Umrifs mil
seinen Gliedern, und ein Herz schlagt an
seinern Herzen. So lernt er die Herrlich-
keit der Dinge, dafs er sie sage und lob-
preise und die Gestalt den Menschen
offenbare.
Echte Wissenschaft ist eines Lieben-
den Wissenschaft. Der solche Wissen-
schaft treibt, dem trill, da er ein Ding
der Welt erlebt, das heimliche Leben
des Dinges gegeniiber, das keinein vor
ihin gegeniiber trat, und gibt sich ihin
anheim, und er erfahrt es, gefullt von
Geschehen bis an den Rand seines Da-
seins. Sodann deutet er das Erfahrerie in
schlichten und fruchtbaren BegrifFen und
feiert das Einsame und Unvergleichbare,
das ihm widerfuhr, durch ehrfurchtige
Redlichkeit.
Echte Philosophic ist eines Liebenden
Philosophic. Der solche Philosophic treibt,
dem offhet sich, da er ein Ding der Welt
35
erlebt, der heimliche Sinn, das Gesetz
des Dinges, das sich kciriein vor ihrn 6fF-
nete, und nicht wie ein Gegenstand, son-
dern als ta'te sich ihrn dcr eigcnc Sinn,
dcr Sinn all der Zeit seines Lebens und
all der Geschicke und seines leidvollen
und erhabenen Denkens Sinn, ersehut-
ternd auf. So nimmt er das Gesetz des
Dinges, das er vcrnommen hat, mit bot-
mafsiger und schopferischer Seele an und
setzt es als das Gesetz der Welt ein, und
hat daran nicht vermessen getan, sondern
wurdig und getreu.
Alle echte Tat ist eines Liebenden
Tat. Alle echte Tat kommt aus der Be-
ruhrung mit einem geliebten Ding und
mundet irn All. Alle echte Tat griindet
aus der erlebten Einheit Einheit in die