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Martin Buber.

Gabe Herrn Rabbiner Dr. Nobel zum 50. Geburtstag online

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BM

40

N6



GABE HERRN
RABBINERDR.
NOBELZUM50.
GEBURTSTAG





THE LIBRARY

OF

THE UNIVERSITY
OF CALIFORNIA

LOS ANGELES






JL






F/l,



GABE



Herrn Rabbiner Dr. Nobel




von

MARTIN BUBER / RUDOLF HALLO
RICHARD KOCH / SIEGFR. KRACAUER
LEO LOWENTHAL / EUGEN MAYER
MAX MICHAEL / JOSEPH PRAGER
FRANZ ROSENZWEIG / ERNST SIMON
BRUNO STRAUSS / EDUARD STRAUSS
ROBERT WEISS



5682



J. KAUFFMANN / VERLAG 4FRA1NKFURTA. M.

'1 llttl M H. 7. Bofmana, Frankfuri a. B.



Die ersten einhundertundfunfundzwanzig
Exemplare dieser Festschrift wurden auf
Buttenpapier abgezogen und sind von
1125 einzeln in der Presse numeriert.
Von dieser 5 on der ausgabe wurden hundert
Exemplare dem Buchhandel ubergeben.



Alle Rechte vorbehalten
auch das der Ubersetzung



Copyright 1921 bei J. Kauffmann, Verlag, Frankfurt a. M



BM



Inhalt



SONETT 5

WIDMUNG 6

Dem Denker

HERMANN COHEN: Briefe Uber Gottfried Keller 9

An Hermann Cohen. (Zu seinem 70. Geburtstag, von N. A. Nobel) . . 12

EDUARD STRAUSS: Mystik, freier Geist und Offenbarung 15

SIEGFRIED KRACAUER : Gedanken Uber Freundschaft 24

RUDOLF HALLO: Figur und Idee 40

*^ ERNST SIMON : Platon und die Tragodie 48

LEO LOWENTHAL: Das Damonische 50



Dem Rrediger



Zwei kurze Predigten, mitgeteilt von E. M 65

JOSEPH PRAGER : Vom Predigen-H6ren 67

MAX MICHAEL: Von der Kanzelpredigt 70

MARTIN BUBER: Drei Predigten 75

Dem Fuhrer

Das Lernkaddisch 81

EUGEN MAYER: ,,Raumet, raumt, macht Bahn!" 85

ROBERT WEISS: Judischer Sozialismus 88

Lebendiges Gesetz und Schonheit der jiidischen Welt 92

FRANZ ROSENZWEIG: Hausliche Feier . 97



THE LIBRARY
UNIVERSITY OF CALIFORNIA

LCS ANGELES



2071362



HTatt roatb bein DolF, roatb dngftlirf) unb genau,
Sliest eblee Ubetmaft, entfagt bent Bcfytpung,
IDacfyt taufenb xitngfte, trdumt rinnerung,
eincr mubgelebten alten



tTtan mifcfyt aue Bd)tDat3 unb tDeig ein Flugee (Brau,
Bc^Iutft tDiffeneftaub, entbe^rt bee (Btaubene QtrunF;
Bd>on bortt bein t>olF - - ba fcf)ldgft C)u quelJenb fung
ewigen



3n ^Tagen, ba ber HTut 3ur uoge ftatrb,
5^nbft ^)u ein tDort, bae une but(i

Unb bae une auf bee get^ene Bniee 3rr>ingt.

Hie flogen (>6l>ec toir unb lagen tief
(Bebeugt t>or bem, bet aue bent ^)unfe( rief:
fegne ben allein, bet mid? ettingt



Hochverehrter Herr Rabbiner!

,,Ich halte dafiir, dass der Rabbiner g'edeihlich nur dann
zu wirken vermag, wenn er iiber alle Parteien innerhalb und
ausserhalb seiner Gemeinde erhaben ist. Er muss sich einen
festen und unverriickbar'en Standpunkt fur die Beurteilung aller
religiosen Zeit- und Stfeitfragen gevvonnen haben. Fur mich
ist dieser Standpunkt derjenige, den das geschichtlich iiberlieferte
Judentum darbietet. Dieser allein scheint mir eine feste Gewahr
fur gedeihliche Fortentwicklung, gesunde Weiterbildung zu bieten.
Ich halte es aber fiir meine Pflicht, jede religiose Richtung 1
innerhalb des Judentums zu studieren, ihr mit sachlichen Griinden
allein zu begegnen und Vertretern entgegengesetzter Meinungen
diejenige Hochachtung entgegenzubringen, die man dem iiber-
zeugten Qegrier schuldet, sowie innerhalb meiner offentlichen
Wirksamkeit das mehr zu betonen, was die verschiedenen
Richtungen eint, als das, was sie trennt. Zur offentlichen Wirk-
samkeit hat die private zu tfeten: der Einfluss, iiber den
eine milde, in sich g'efestigte und eben darum alien mit
gleichem Verstandnis begegnende Personlichkeit notwendig ver-
fiigt, ist in freundschaftlichem Verkehr mit den Gliedern der Ge-
meinde im heilsamsten Sinne auszuiiben. Eben dies Eindrucks-
volle an' der Personlichkeit des Lehrers muss ihm die Herzen
der Jugend gewinnen, und wem die Jugend gehort, dem gehort
die Zukunft. Aus der Reinheit der Lebensanschauung muss reine
Selbstlosigkeit und Opferfreudigkeit in der heiligen Arbeit des
Berufes erwachsen. Das ist mein Ideal eines Rabbiners, dem,
nachzustreben die Aufgabe meines Lebens ist."

Diese Auffassung von der ,,Wurde und Burde des rabbi-
nischen Berufs" haben Sie vor fiinfundzwanzig Jahren nieder-
geschrieben.

Martin Buber. Rudolf Hallo. Richard Koch.

Siegfried Kracauer. Leo Lowenthal. Eugen Mayer.
Max Michael. Joseph Prager. Franz Rosenzweig.

Ernst Simon. Bruno Strauss. Eduard Strauss. Robert Weiss.



Platens strahlende Welt und Kants erdunkelnde Tiefen
Strahlten Dir Grosser, in eins. Musisch erklangen sie Dir.

An der prophetischen Glut entbrannte die lodernde Fackel.
Sterbliches bargen wir hier. Lodere heller, o Glut!

Grabschrift fflr Hermann Cohen.



Hermann Cohen
Brief e iiber Gottfried Keller.

VerOffentlicht mit gQtiger Erlaubnis der Frau Geheimrat Cohen.*)

An Stadler, Marburg. 4. 5. 1886.

. . . . zu berichten versuchen, dass ich die Ferien wirk-
lich in philosophischer Musse, d. h. in Abstinenz von allem
Handwerk verbracht und erstens schone, dann aber auch ge-
lehrte Biicher gelesen habe. Unter den ersten riihme ich mien
nun auch endlich der freudigen Kenntnis von Gottfrieds Ziiricher
Novellen, und da ich die Erinn'erung trage von jenem Abend,
an dem ich zu Ihrer symposiastischen B'efriedigung in dem
alten Zunfthause mit dem Meister gesessen und gezecht habe,
so bewege ich mich wie zugehorig in den alten Geschichten.
Es muss Ihnen doch eine wirklicfre Freude sein, dass iwiederum,
wie in alien Wendungen unserer Literatur, Ihre Landsleute
die Erwecker zur echten Natur sind. Also ist es - vielleicht
auch ein gutes Zeichen, dass die Zeiten vvieder besser werden
und die Weimarer Gesellschaften nicht die alleinigen Hohepunkte
des aussermilitarischen nationalen Daseins bleiben ....

An Stadler, Marburg, 14. 3. 1887. N

.... Dagegen a"ber hab'e ich in den letzten Wochen
mit wahrhafter Bewunderung Gottfrieds Sinnge-
dicht gelesen. Das ist Poesie und Kunst daneben.
Ich glaube, wenn Sie mich dieser Tage in die Meise gefuhrt
hatten, ich hatte mich kaum enthalten, dem vor alien Vortreff-
lichen eine Vorlesung zu halten. Riihrend ist die Wirkung, die
blitzartig erfolgt bei der Erh'ebung der Sklavin, die soeben als
Schemel gedient hat, zum Weibe der Liebe. Das ist die an-
schaulichste und ergreifendste Darstellung des homo noumenon,
der ich mich erinnern kann. Und wie wahrhaft Shakespearisch ist
das Asyndeton in der Folge der beiden Correa-Geschichten:
bei dem Hangen wird kaum ein Punkt und Absatz gemacht.
Als ich iibrigens die ersten sonnigen Seiten las, hatte ich wirk-
lich die Illusion, ich lase Goethe. Was ist das fur ein reiner,
ganzer Mensch. Moge; er gesund und heiter bleiben. Dahin-

*) Ueber das Verhaltnis Cohens zu Gottfried Keller wird Bruno Strauss,
vornehmlich auf Grund dieser in die letzten Tiefen der PersOnlichkeit Cohens
hineinleuchtenden Briefe, demnachst handeln.



Hermann Cohen
10

gegen hat mich Ihr anderer, dieses andern wegen ungliicklicher
Mitbiirger mit seinem Jenatsch vvenig erbaut: ich weiss jetzt,
was Erzahlungskunst von Poesie unterscheidet.

An Stadler, Marburg 17. 7. 1890.

Lieber Freund. Nachdem ich Ihnen gestern ohne gesam-
melte Stimmung wenigstens vvieder einmal eine Art von Daseins-
bescheinigung zukommen liess, las ich am Abend den Hintritt
des Dichters, den ein Geschenk Ihrer Freundschaft per-
sonlich kennen zu lernen mir vergonnt war. Gerade person-
lich gibt nun auch dieser sein Lebensabschluss zu denken und
zu empfinden. Es ist Ihnen, und ich hoffe dauernd, eine Lebens-
freude, dass Sie bis zur Beachtung der sozialethischen Impon-
derabilien ihm, seiner Person in dieser erweiterten Bedeutung
Beistand geleistet haben. Dass in solcher zarten Energie Liebe
und Treue und wahre Achtung bewiesen wird, mochte ich doch
nicht, weder als antireligios, noch gar als unabhangig von r ; eli-
gioser Stimmung betrachten: dazu ist es schon viel zu deutlich
als die religiose Tendenz iiberbietend, und somit diese cuml
grano anerkennend. In der Tat, wenn man von dem Gelehrten-
Bourgeois-Gedanken sich befreit hat, den Denker in der Seele
zu ehren und demgemass den intellektuellen Transport auf die
Ewigkeit der Kultur fur die Hauptkraft und den eigentlichen
Wert des armen menschlichen Individuums anzusehen, dann
bleibt doch vielmehr das Unsagliche und Voriibergehende in
der Laune, und wenns hoch kommt, der Gesinnung der Mit-
menschen das eigentlich Bestandige, was als Menschenwert
und als das Ewige im Irdischen zu taxieren bleibt. Und vver
allein steht oder wenig flankiert in diesem kalten Leben, auf
diesem Schauplatz der Arbeit und des Genusses, der be-
rauscht sich leicht fur dieses Exempel der religiosen Sympathie
besonderer Art. Religion ist es nun einmal, wo man das Eitle
des Irdischen mit der Glorie des Ewigen schmiickt. Welche
Ethik sagte uns, dass wir nicht schleunigst die Triimmer einer
ehemaligen Vernunft ihrem heterogenen Schicksal iiberlassen,
um restlos Pflichten zu erfullen an anderen jeweiligen Vogel-
scheuchen des Sittengesetzes? Wir verlieren ja wirklich Zeit,
wenn wir der menschlichen Schwache eine Thrane weihen! Die-
sen Mythos vom Individuum quand meme hat die Ethik sich an-
geeignet, um an ihm ihr^en Idealismus vom homo noumenon
zu betatigen. Und ein solch'er idealistischer Wohltater des Men-
schenherzens war ihr 'entschlafener Landsmann. Er hat die Roheit
der mythologischen Religiositat, die Erkenntnis sein will anstatt
demiitiger Verklarung des Individuums, mit der Kraft echten
Glaubens an die Eine unabanderliche Aufgabe gegeisselt, und
weil er echter, urwiichsiger Naturdichter war und weil er in



Briefe iiber Gottfried Keller

11

gottlicher Nachahmung sich ebenso nur zuriickziehen wollte von
der Predigt gottlicher Dinge, drum hat er die Freiheit und
Urspriinglichkeit des kunstlerischen Bewusstseins offenbart.
Mochte sein Heimgang uns den Trost hinterlassen, dass, wie
einst, so auch jetzt wieder, von Ihrem doch wenigstens freieren
Vaterlande her eine neue Bliite des Qeistes und des ireinen
Gefiihls vorbereitet werde! Wir verlieren ja nichts, wenn ein
wahrer Mensch dahingeht; aber es riihrt uns, dass es ein
Mensch war, der so Ewiges hervorgebracht hat. Und in diesem
Gefiihle erheben wir uns iiber die Kleinlichkeiten, die uns lang-
weilen, und lautern uns zu n'euem Hoffen und wenns gliickt -
zu tapferem Kampfen. Nur der Kampf ist tapfer, in dem
wir uns selbst zu bessern streben. Verzeihen Sie diese Ergiisse,
die mir nun mal nach meiner s f entimentalen Art aus der Feder
wollen .



12



An Hermann Cohen.

Zu seinem 70. Geburbtag (4. Juli 1912)
von N. A. Nobel.

FOr die .Mitteilungen der Grossloge f(ir Deuisdiland U. O. B. B."

Ein herzlich Anerkennen ist des Alters zweite Jugend.

Wohlan, lasset uns dem Meister huldigen, der in sein
70. Lebensjahr eintritt. Lasset unsere dankbare Verehrung sein
schones Denkerhaupt bestrahlen.

Die Einsamkeit ist das Los der Gross'en. Die Gedanken-
welt allein gibt ihnen das Biirgerrecht. In ihr leben sie und voll-
enden die weiten Kreise ihres gesegneten Daseins. Sie konnen
der Anerkennung entbehren.

Aber wir konnen dieser Anerkennung der Qrossen nicht
entbehren. Nicht wir bestrahlen sie. Sondern sie bestrahlen uns.
Etwas von dem Geheimnisvollen des Strahlenlebens zittert auf
unsere feiertaglich gestimmte Seele herab. Lasset es ans um-
zittern, bis unsere Seele das feierliche Erbeben der grossen Ge-
danken und ihrer Trager lernt.

Cohens vvissenschaftliches Lebenswerk ist noch nicht ab-
geschlossen. Insbesondere haben wir nun, da er den Lehr-
stuhl der Universitat verlasst, eine Fiille von Reichtiimern von
ihm zu erwarten, die er als ,,keimelion" tief im Busen tragt.
Diese Reichtiimer werden unserem Eigensten gelten. Sie werden
geniale Gedanken iiber den Geist der hebraischen Sprache ber-
gen. Die Geschichte der judischen Religionsphilosophie werden
sie von Gesichtspunkten aus, di f e nur dem originellen Denker
angehoren konnen, fordern. Unsere Gebete, unsere heiligen, ehr-
wiirdigen Gebete werden sie feiern in ihrer prophetischen Rein-
heit und Grosse, in ihrer siiss'en, berauschenden Schonheit, in
ihrer Schlichtheit und Herzlichkeit, in ihrer menschlichen Grosse
und holden Frommigkeit.

Ja, Reichtiimer hat Cohen uns noch zu schenken. Entbliiht
,,reich" nicht dem ,,regius u und bedeutet: koniglich? Spricht
Hiob nicht von dem Koniglichen, der die Trauernden trostet?
Solch ein Koniglicher ist Cohen.

Ihn umschweben die Genien Platons und Kants und aller
Grossen, die nicht nur Thyrsustrager, sondern Bakchen ge-
wesen sind.

Wenn Platons dichterische Schwingen das Methodische
seiner grossen Ideenlehre nicht nur beschwingen, sondern auch



An Hermann Cohen

13

zu verdunkeln scheinen, sondert Cohen das allzu Bakchiche
von dem reinen Gedankengut. Und wenn Kant des Beschwing-
ten zu wenig hat, bis dass eirie moderne Verirrung es wagf,
ihn den ,,grossen Chinesen von Konigsberg" zu nennen, so
stelgt der edle Zorn vvissenschaftlicher Entriistung in Cohen
empor, und er erkennt die feine Architektonik im Aufbau der
Gedanken. Er erkennt sie. Er erganzt sie mit sorgsam wagen-
der Kiinstlerhand. Er stilisiert sie mit platonischer Stilkunst. Und
wie Athene aus dem Haupte des Zeus, entspringt seinem Haupte
der Gedanke, dass die beiden Grossen nicht die Moglichkeit
des Unerfahrbaren, sondern die Moglichkeit der Erfahrung be-
griinden wollten. Nicht Begriffsdichtung sollte die Pforte sein,
bei der die M'etaphysik hereinschliipfen kann, nachdem die Pforte
der Wissenschaft sich hinter ihr g f eschlossen. Lasset die IMeta-
physik das Dichterische umranken. Lasset sie das Religiose be-
fruchten.

Nicht alles, was Cohen iiber das Religiose lehrt, ist mit
der geschichtlichen Ueberlieferung, auf der wir mit beiden IFiissen
stehen, in Ueb'ereinstimmung. Ihm geht die Freiheit der Wissen-
schaft iiber alles. Aber er versteht, dass die Gebundenheit
der Religion ihre Getreuen nicht zu Gebundenen macht. Mit
den Fiihrern des echten, weitausschauenden religiosen Konserva-
tismus hat ihn von je Freundschaft verbunden. Seine Liebe zum
Geiste der Bibel ist so gross, dass die Sprache der Bibel ihn
bis at? Tranen riihren kann. Man merkt, dass Cohen bei seinem
Vater, einem ti'ef religiosen Manne alten Schlages, die Religion
des Judentums so erlebte, dass das Leben seiner friihen Jugend
Religion war. Denn nur, wenn wir Religion erleben, kann unser
Leben Religion sein. Bei all seinem Liberalismus ist Cohens
Seele von tiefem Verstandnis fur das geschichtliche Judentum
erfullt.

Die Universitat hiess einst bei uns nicht die alma mater,
sondern Kallah - - die holde Braut. Von rfer grossen Liebe, der
schopferischen, der aus den Urgriinden der Seele erwachsenden,
kiinden beide Namen. So ist Name nicht immer Schall 'und
Rauch. Manchmal auch Himmelsglutenleb'en. Alle Liebe
aber macht sich nicht abhangig von Gegenliebe. Es ist in ihr
aber das unstillbare Verlangen nach Gegenliebe. Cohens wissen-
schaftliche Grosse ist unabhangig von der Anerkennung seiner
Fachgenossen. Zur Universitat, deren Zierde er seit mehr als
drei Jahrzehnten ist, miisste, diirfte er aber auch so i manchmal
mit dem Dichter der Deutschen sprechen: wenn ich Dich Hebe,
was gehts Dich an?

Besonderen Grund hat der Bruderbund der Logen, Cohens
Festtag als einen 'eigenen zu begehen. Wir konnen nicht aus
lauter Nehmenden bestehen. Wir brauchen in unseren Reihen



An Hermann Cohen
14

die Gebenden, deren Stellung in unserer Mitte gesichert ist
durch die natiirliche, im Judentum besonders gegriindete Ehr-
furcht vor wissenschaftlicher Genialitat. Wir konnen nicht
von Genialitat allein leben. Das kann kein geselliger Verband.
Aber raumet in Scheu und Dankbarkeit der Genialitat ihre
Stellung ein in unserem Bunde. Und vvenn Enge droht, Nuch-
ternheit mit grauem Nebel umdiistert, der unentbehrliche,
aber ode Demokratismus der Gleichmacherei die Bedeuting der
,,aristoi* anzvveifelt, dann lasset uns an des grossen Plato-
nikers Ehrentag erwagen, dass, wenn schon unsere Konige nicht
immer Philosophen sein konnen, doch unsere Philosophen alle-
zeit Konige sein sollen.

Die Frankfurt-Loge insbesondere, die im engeren Sinne
Cohen den Ihren nennt, hegt festliche Gefiihle. Von bedeuten-
den 'Mannern, die, wie unser schones Wort lautet, bereits in der
Welt der Wahrheit Weilen, zu ihrer jetzigen Hohe emporgehoben,
ist sie stets von den Gefahren umgeben, die mit dem Besitze
grosser Giiter und einer ruhmvollen Vergangenheit unzertrenn-
lich verbunden sind. Cohen feiern heisst fur unsere Frankfurt-
Loge nichts Anderes und nichts Geringeres als der grossen
Selbstbesinnung dienen. Der Selbstbesinnung dienen aber heisst
ein Herrscher sein.

Es ist von Cohen zu erwarten, dass er sich jeder rau-
schenden Huldigung zu entziehen wissen wird. Er liebt nicht
das Rauschende. Aber den stillen Huldigungen der Freunde,
die ihn an seinem 70. Geburtstag umhegen werden, wird er
sich nicht entziehen.

Wenn ich ein Dichter ware, so sollten an diesem
Tage edle Rhythmen meiner Leier entstromen und Cohens
Haupt umwogen. Wenn ich / ein Redner ware, so wiirde
ich Cohen etwas wie Jacob Grimms schorie Rede iiber das
Alter weihen. Wenn ich ein Maler ware, dann wiirde ich seinen
schonen Kopf zeichnen, wie er verklart wird von der heiligen
Entdeckerfreude.

Es fehlt der edle Faltenwurf der Rhythmik.

Es fehlt Jacob Grimms erhabene Ruhe, aus der Kennt-
nis verborgener Tiefen des geheimnisvollen Lebens der Sprache
geschopft.

Es fehlt die Kraft, in farbentrunkener Verklarung eine
neue Welt zu schaffen, unendlich kleiner und unendlich grosser
als die Welt des Alltags.

So sei die Treue unser Rhythmus.

So sei dielnnigkeit das geheime Leben unserer Huldigung 1 .

So sei die Herzlichkeit unsere kiinstlerische Verklarung'.



15




(Die beiden Eingangskapitel zu einem Buch in Briefen.)
I.

Lieber Freund, unser letztes Gesprach hat uns beiden
zutn Bewusstsein gebracht, dass es ein schicksalhaftes und durch
keinen noch so guten Willen verfalschbares Zeichen dieser Zeit
und ihrer Menschen sei, das, was als ,,Leben" in uns auf-
quillt oder auf uns zukommt, oder iiber uns wallet, nicht in
Einheit des ganzen schlichten Daseins in uns aufzunehmen
und wahrzunehmen. Bewusstes Richten lenkt das alles heut
in eigene einzelne Strassen hinein. Die Menschen von heute
haben nicht eine doppelte, sondern sogar eine dreifache Buch-
fiihrung des Lebens notig! Es trifft Alles auf Vielheiten des
Bewusstseins: vielfache Wahrheiten werden daraus. Noch mehr:
wir merkten, dass in Dir und mir, in jedem Einzelnen sich
Vielheiten bergen, dass an Dir und mir und an alien Anderen
sich nicht einfach ,,Leben" auswirkt, und dass die Strassen nach
Zielen auseinanderlaufen, die geglaubt oder verleugnet, ver-
fochten oder bestritten, heiss ersehnt oder freventlich verlacht
werden. Dieses Zertrennte war es aber eigentlich nicht, wovon
wir zuletzt vor unserer Trennung sprachen. Sondern
davon sprachen wir, dass uns gerade heute von alien rnog-
lichen Seiten das Eine, Einigende, so vielfach versprochen wird:
Sein. Just in diesem Vielfachen des Versprechens lag aber
die Ursache unseres gar nicht mehr zu befriedigenden Zweifels.
Denn wir gewahrten ja um uns nur Werden und .Wandlung
und Sturz. Fragten wir danach, was denn die Menschen nun
ergriffen hatten oder was wir ergreifen sollten, so wurde uns
wieder dreierlei zur Antwort: Entwicklung einer urehemals ge-
wordenen, einer stetig vergehenden, einer zeitfern aufleuchtenden
Welt. Wir empfanden das als 'ein Hinaustasten von Haltlosen:
keine tragenden Hande hielten unseren Fall auf und stellten
uns wieder sicher aufs Feste und gar dass leise auf einmal
sich wieder Hande segnend iiber uns breiten wiirden, das schien
uns ganz fern und verloren.

In unserem Ringen um das einigende, losende Wort
schwangen drei Tonwellen, die sich nicht zum Dreiklang einen
wollten. Eine komme (so sagten wir) aus der Tiefe, der Seele,
der Natur, dem Innern - - oder wie man sonst das in sicW ge-



Eduard Strauss
16

schlossene, vor allem verschlossene Ich-selbst und Du-selbst
nennen mag. Diese Tonwelle ist unendlich, tont - vvir wissen
nicht, woher verklingt wir ahnen nicht, wohin kommt
aus dem Pfadlosen, lockt ins Uferlose.

Die zvveite Welle kommt aus der Breite der Urn- und
Mitwelt, dem Ereignis, das uns wider fahrt und zu tinserer
Erfahrung wird: von aussen. Die Laute, die diese Welle uns
zur Wahrnehmung bringt, sind zahllos. Von ihnen wissen wir das
Woher und Wohin, oder wir meinen es wenigstens; aber gerade
hier ist kein Richten unseres ganzen Lebens moglich; wir
miissen uns auf nur einen Laut, eine Wellenlange abstimmen,
das aber tut, wenn es geschieht, unserem "Leben bitteren Ab-
bruch. Es geschieht ja. Wir wissen das. Wir stohnen unter
dem Geschick, das uns zwingen will, den Sinn eines physi-
kalischen Bildes bis ins Letzte hinein, bis zur Maschine zu
erfiillen, urn eines Lebens willen, das so starre Notwendig-
keit auch dahinter steht - kein Leben mehr ist. Ich habe Dir
ja einmal gesagt (und ich sage es wieder, ruhiger als damals
und weniger bitter!): erst wo das Natur-Gesetz aufhort, Ida
fangt das Leben an.

Ueber alle Wege der Welt klingen die Laute der Weite
und Breite verfuhren und versetzen uns dahin und dorthin:
Alles ist nur ,,vielleicht".

S o hat sich uns das Bild dieser Zeit dargestellt:

Die Einen bewaffrien ihre Augen und verstarken mit
feinstem Werkzeug ihre Hande: auf die dunkle Lebenswand
vor uns zeichnen sie die Abbilder des Seienden; sie nennen
sie und geben ihren Sinn an; sie verteilen die Bilder und ord-
nen nach ihrer Meinung. Und das Leben bleibt Abbild, Be-
zeichnung, Begriff.

Da stiirmen andere gegen das dunkle, vor ihnen aufge-
turmte Leben an. Lieber mit blindem Auge, mit waffenlosen
Handen in das Ratselvoll-Furchtbare eindringen, lieber darin
vergehen, als an jenen Abbildern Geniige finden! Sie haben
erkannt, dass die Meister der feinen Zeichnung nicht Schopfer
der Lebensbildwerke sind mogen sie es auch noch so oft
behaupten. Sie haben erkannt, dass jene nur die Schatten
nachgefahren haben, die von tieferem Lichte entworfen wur-
den. Nun fiihlen sie, dass 'eben dieses Licht in ihnen selber -
ein Fiinklein vielleicht nur - - brennt; nun horen sie, dass
es ruft: sie sollen es am Quell der Flamme speisen, eh' es ver-
lischt. Sturmend brechen sie in das Urdunkel hinein in
dem, was die Wissensklaren und Zeichendeuter das Nichts
genannt haben, hoffen sie das All zu finden.

Die wissenden Meister der Menschen besprechen und
beschreiben die Hauser der Lebendigen: ihnen wird dies Be-



Mystik, freier Geist und Offenbarung

17

sprechen nicht aus der Entscheidung geboren, ob dieses oder
jenes unser Haus, unser Eigen sei oder nicht. Sie konnen gar
nichts Anderes tun, als besprechen, bezeichnen; ihre Stelle,
ihr Sinn, ihr Tun ist Stadtplan. Schilder heften si'e an alle
Hauser der Welt. Bedarf man aber im Hause des Namen-
schildes? Weiss doch drinnen jeder, wie ich, der Eigner,
heisse! !

Aber - so raft der Stiirmend'e aus der Not seines Her-
zens wo ist Der, der mir meine Statte gibt, der vor def
Nacht ein schiitzendes Dach iib'er mir wolbe? Sind denn nicht
alle jene Hauser Trug? Stehen nicht fremde Namen an alien
Schildern? Lasst uns die fremd'en Hauser verachten lasset
uns durch die endlosen Strassen dieser Welt wandern: ,*us den
Hausern in die Hauslosigkeit, aus dem erdachten Bild und ge-
zeichneten Plane der Wissenden in die Unendlichkeit sie ist
unsere Heimat! Irgendwo vielleicht im Nirgendwo finden
wir uns uns s e 1 b e r als unsefe Statte!

Lieber Freund, als wir zuletzt zusammen waren, da horten
wir die Laute der Welt. Wir sahen alte und neue, gestiirzte
und wiederersetzte Wegvveiser im Weg des Geschehens und des
Oetriebes. Wir erkannten Plane der Menschen. Sinnlos
waren die nicht nur fragwiirdig ohne Ende. Dann haben wir
die Stimmen der Tiefe und das Aufrauschen der Seelen gehort:
an uns voriiber tosten Millionen Schritte, die aus Unendlichkeit
in Unendlichkeit eilten; wir sahen aufflammende Fackeln in der
Nacht. Wir fiihlten fuhlten uns selbst als hinstromende W e s e n
der Natur. Die waren fraglos und antwortlos, allerdings. Aber
auch ohne Sinn. Wo bleibt aber das Wort der Wahrheit tiber
den Wahrheiten? Wo klang uns iib'er dem Brausen und jenseits
des Klirrens der Psalm?

Zu sein haben wir Lebendigen doch verlangt! Bediirften
wir dazu nicht eines Platzes, eines Raumes nein: unseres
Platzes, utiseres Raumes? Ewiger "Ort ist es nicht, wohin jene
ersten beiden Wellen tragen. Dieser Ort unseres Bleibens muss
uns wirklich und mit Namen genannt und so mit der ganzen
Greifbarkeit unseres Daseins verkniipft werden. Das aber konnen
die Tone allein und die Laute allein nur das sind sie eben
nicht. Dam bedarf es der Rufe, die ordnungwirkende Worte
sind, der Rufe der H oh e. Sie erst konnen, wenn sie an
uns ergehen, uns wahrhaftig zu einem ,,Wir" binden, denn sie


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